
Ann-Katharin Lorenzen ist Arbeitspsychologin, systemische Coachin und Dozentin. Mit eigener Gründungserfahrung baut sie eine Brücke zwischen mentaler Gesundheit und Unternehmertum. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Burnout-Prävention – stets mit Blick auf das gesamte System: Team, Organisation und familiäres Umfeld. Denn mentale Belastung entsteht selten isoliert im Gründungsalltag, sondern ist häufig das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen Rollen, Erwartungen und strukturellen Rahmenbedingungen.
Episode
33
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Tagebuch einer Psychologin
Montag 7:00 Uhr
Ich schrecke hoch. Irgendetwas ist laut. Mein Wecker. Das kann doch nicht wahr sein? Es fühlt sich viel zu früh an. Mein Körper will liegen bleiben, eingemurmelt in die Daunendecke, schwer und warm. Nur mein Kopf scheint das Memo nicht bekommen zu haben – er läuft längst los.
Was steht heute an?
Ich habe zwei wichtige Termine. Die To-do-Liste ist lang. Ich muss noch bei LinkedIn online sein. Die Termine vorbereiten. Wann gehe ich eigentlich zum Sport? Ach, heute schaffe ich das nicht.
Mein Herz schlägt schneller. Etwas auf meinem Brustkorb fühlt sich seltsam an. Eine Schwere. Vielleicht ist das, was Menschen meinen, wenn sie sagen: mir liegt ein Stein auf dem Herzen.
Ich stehe auf, mechanisch fast. Kaltes Wasser ins Gesicht, ein Glas Wasser hinunter, Laptop auf. Noch im Schlafanzug sitze ich im großen Sessel im Wohnzimmer, eingewickelt in eine Wolldecke.
Termine checken – nur zur Sicherheit.
E-Mails. LinkedIn.
Wer hat schon gepostet? Hat jemand kommentiert? Wie performt mein Beitrag?
Es ist 7:30 Uhr. Montagmorgen.
Und während ich mich frage, wer um diese Uhrzeit schon LinkedIn öffnet, merke ich, wie mein Zustand kippt. Mein Nacken wird hart. Mein Atem flacher. Meine Schultern spannen sich an, als trügen sie die Welt.
Ich bin im Leistungsmodus.
Ich will beweisen. Funktionieren. Perfekt sein.
Und irgendwo dazwischen habe ich meine Werte neu sortiert – unbewusst. Früher stand „Gesundheit“ auf Platz eins. Heute steht da: „Arbeit“. Das, was mir am meisten Freude schenkt, ist auch das, was mich am meisten unter Druck setzt. Wenn ich das so aufschreibe, klingt es absurd.
Aber genau so beginnt Burnout – leise, vernünftig klingend, fast unbemerkt.
Diese Zeilen stammen aus meinem alten Tagebuch.

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Ich habe sie in den ersten Monaten meiner Selbstständigkeit geschrieben. Und obwohl seitdem viel Zeit vergangen ist – der Moment fühlt sich immer noch vertraut an. Jetzt, während ich ein Unternehmen aufbaue, erkenne ich mich in ihr wieder, nur klarer. Damals fehlte mir Bewusstsein. Heute fehlt mir manchmal nur die Konsequenz, dieses Bewusstsein Tag für Tag umzusetzen.
Und es ist, ehrlich gesagt, fatal, die eigene Gesundheit für eine Gründung zu opfern. Ich habe es getan – mehrfach. Nicht mit Absicht, sondern schleichend, wie so viele andere.
Ich kenne unzählige Gründer:innen, die genau diesen Kreislauf erleben: zuerst Begeisterung. Dann Einsatz. Dann der Versuch, alles gleichzeitig zu sein – Visionärin, Umsetzerin, Perfektionist*in.
Der Sport fällt aus („morgen wieder“), das soziale Leben schrumpft, und irgendwann ist selbst der Schlaf kein echter Schlaf mehr.
Manche kommen da wieder gut heraus. Andere weniger.
Denn alles hängt davon ab, welche Ressourcen wir in genau diesen Momenten haben – innerlich und äußerlich. Und wenn sie fehlen, öffnet sich die Tür für Erschöpfung,
Depression, Burnout. Ganz still, ganz schleichend.
Warum ich das aufschreibe?
Weil ich weiß, wie schnell diese Grenze verwischt.
Wie verführerisch es ist, über die eigenen Bedürfnisse hinwegzugehen, wenn die Vision ruft.
Und wie leicht man sich selbst verliert, während man etwas Großes erschaffen will.
Vielleicht ist das unausweichlich – ein Teil des Spiels.
Aber vielleicht ist es genau deshalb so wichtig, dass wir über mentale Gesundheit im Unternehmertum sprechen. Nicht als Zusatz, sondern als Notwendigkeit dafür, dabei auch ganz zu bleiben.
Ich klappe meinen Laptop zu.
Draußen ist es immer noch still. Nur der erste Vogel hat sich getraut.
Ich atme tief ein, spüre den warmen Dampf meiner Teetasse in den Händen. Und irgendwo zwischen Brustkorb und Kehle löst sich etwas.
Klein, aber spürbar.
Ein Anfang.

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