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Kolumne
Zwischen Idealismus und Realität: die Gründerszene sozialer Start-ups
Episode
Date
December 1, 2025
Autor:in
Anna Weiß
Duration
5 Minuten
Anna ist Mitgründerin von neuerdings, ein Projekt das die Dresdener Innenstadt neu beleben möchte und Experimentierräume schafft.

Seit ihrem 18. Lebensjahr ist Anna in der Immobilienwelt zu Hause und bringt tiefgehende Einblicke in Brancheninnovationen, Herausforderungen und zukunftsweisende Designlösungen mit. Neben ihrem Studium der Immobilienwirtschaft hat sie eine Weiterbildung in Social Media Marketing absolviert. Sie engagiert sie sich ehrenamtlich bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

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Kommentar zu Social Entrepreneurship

Zwischen Idealismus und Realität: die Gründerszene sozialer Start-ups

Soziale Start-ups gelten als Hoffnungsträger einer neuen Gründer:innen-Generation: Sie wollen wirtschaftlich erfolgreich sein und zugleich gesellschaftliche Probleme lösen. In Zeiten multipler Krisen klingt das wie das perfekte Modell einer zukunftsfähigen Wirtschaft. Doch wer einmal versucht hat, ein soziales Unternehmen zu gründen, weiß: Der Weg zwischen Idealismus und wirtschaftlicher Realität ist steinig.

Gesellschaftliche Wirkung vs. wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Ein soziales Start-up unterscheidet sich von klassischen Gründungen in einem zentralen Punkt: Das Ziel ist nicht primär Gewinnmaximierung, sondern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen1 – also ein messbarer Beitrag zu sozialem oder ökologischem Wandel. Diese doppelte Zielsetzung ist zugleich Stärke und Schwäche des Modells.

Während klassische Start-ups mit Kennzahlen wie Umsatzwachstum oder Marktanteil argumentieren können, müssen Social Entrepreneurs ihre Wirkung belegen – etwas, das sich oft nur schwer in Zahlen ausdrücken lässt. Impact-Reporting, also der Versuch, soziale Wirkung messbar zu machen, steht in Deutschland noch am Anfang. Das erschwert insbesondere die Finanzierung.

Die Finanzierungsfrage: wer bezahlt gesellschaftlichen Wandel?

Laut KfW Research gibt es in Deutschland derzeit rund 154.000 junge Social Entrepreneurs, die etwa 108.000 Unternehmen führen. Drei Viertel von ihnen benötigen externes Kapital2, deutlich mehr als andere Jungunternehmer:innen. Doch Investor:innen tun sich schwer, soziale Wirkung mit Rendite zu verbinden.

Förderprogramme existieren, etwa über das Bundesministerium für Wirtschaft oder regionale Innovationsfonds, doch sie decken meist nur einen Teil der Finanzierungsbedarfe ab. Venture Capital fließt vor allem dorthin, wo schnelles Wachstum winkt – nicht in Projekte, deren Ertrag gesellschaftlicher Mehrwert ist.

So geraten soziale Gründer:innen in eine Zwickmühle: Wer zu idealistisch auftritt, verliert wirtschaftliche Partner:innen; wer zu stark auf Profit achtet, läuft Gefahr, den ursprünglichen Zweck zu verwässern.

Das Dilemma der Skalierung

Viele soziale Start-ups lösen konkrete lokale Probleme: Nachbarschaftsprojekte, Bildungsinitiativen, zirkuläre Produktionsmodelle. Doch gerade diese Nähe macht sie schwer skalierbar. Eine App kann man beliebig multiplizieren, eine sozial wirksame Struktur selten.

Studien des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland zeigen, dass rund drei Viertel der sozialen Unternehmen in Deutschland innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen anbieten, doch nur ein kleiner Teil schafft den Sprung zur nationalen oder internationalen Expansion. Häufig fehlen die Ressourcen, das Know-how oder schlicht die passende Rechtsform.

Kompetenz- und Netzwerkdefizite

Hinzu kommt: Viele Social Entrepreneurs kommen aus den Sozial-, Kultur- oder Bildungswissenschaften. Sie haben Ideen, Leidenschaft und Haltung, aber selten Management- oder Finanzierungswissen. Laut KfW geben nur 23 % der sozialen Gründer:innen an, über umfassende Geschäftskompetenz zu verfügen (bei anderen jungen Unternehmer:innen sind es 33 %).

Was fehlt, ist ein professionelles Ökosystem: Business-Angels, die soziale Wirkung verstehen, Inkubatoren, die Impact-Messung coachen, und Netzwerke, die gesellschaftliche Innovation in marktwirtschaftliche Bahnen lenken.

Zwischen Anspruch und Alltag – ein persönlicher Blick

Wer schon einmal ein soziales Projekt gestartet hat, weiß, dass sich viele Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Wirkung und Wirtschaftlichkeit abspielen.
Auch in meinem eigenen Umfeld, etwa bei der Gründung von neuerdings, einem Projekt zur kulturellen Zwischennutzung in Dresden, zeigte sich dieses Spannungsfeld deutlich: Die gesellschaftliche Motivation ist sehr groß, die Strukturen rund um Branding, Nutzungskonzepte, Initiativen und Mitwirkenden allumfassend. Jedoch müssen Räume finanziert, Partner:innen überzeugt und Förderlogiken verstanden werden. Alles, während die inhaltliche Arbeit längst begonnen hat. Nun überzeugt einen Eigentümer von der langfristigen Wertschöpfung niedrigerer Mietpreise durch soziale Innovation von Begegnungsorten. Oder überzeugt einen Investor von einem Investement in Tischtennis Platten, um Jugendliche sinnstiftend zum niedrigschwelligen Begegnen und Austauschen zu bringen.

Dieses Spannungsverhältnis ist typisch für soziale Gründungen: Der gesellschaftliche Bedarf ist unmittelbar, die ökonomische Stabilität ein Langstreckenziel.

Ein Ökosystem im Aufbau

Trotz aller Hürden wächst das Bewusstsein für Social Entrepreneurship in Deutschland. Netzwerke wie SEND, Programme wie der Social Impact Award oder Ashoka Fellows sowie Initiativen von Stiftungen schaffen neue Strukturen und Sichtbarkeit. Auch Hochschulen beginnen, soziale Innovation systematisch in Gründungsförderung zu integrieren.

Dennoch bleibt die Erkenntnis: Soziale Start-ups brauchen ein anderes Maß an Unterstützung als klassische Gründungen: weniger Druck auf Skalierung, mehr Raum für Experiment, Wirkung und Zusammenarbeit.

Soziale Start-ups sind keine Idealist:innen am Rande der Wirtschaft, sie sind Pioniere einer neuen ökonomischen Logik. Sie zeigen, dass Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung tragen und gleichzeitig innovativ sein können.

Doch um ihr Potenzial zu entfalten, brauchen sie klare Rahmenbedingungen: faire Finanzierung, Wirkungsmessung, passende Rechtsformen und öffentliche Anerkennung. Denn nur wenn gesellschaftliche Wirkung und wirtschaftliche Tragfähigkeit zusammen gedacht werden, kann aus gutem Willen nachhaltiger Wandel werden.

1 Zum Begriff Social Entrepreneurship: https://www.ihk.de/koeln/hauptnavigation/gruendung-finanzierung-nachfolge/social-entrepreneurship-sozialunternehmen-impact-startups-5724128

2 KfW Research, Fokus Volkswirtschaft, Social Entrepreneurs in Deutschland: Raus aus der Nische – 154.000 „junge“ Sozialunternehmer im Jahr 2017, Nr. 238, 6. Januar 2019, Autor: Dr. Georg Metzger

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