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Kolumne
Positiv scheitern: Zuversicht ausstrahlen

Kreativität ist für Carina Frings keine Frage des Berufs – sondern eine Lebensentscheidung. Als studierte Designerin denkt sie Gestaltung weit über das Visuelle hinaus: Worte sind Design, Schrift ist Gestaltung, und jede:r kann kreativ sein – wenn man sich dafür entscheidet. Schon während ihres Studiums entschied sie sich gegen den klassischen Karriereweg und gründete ihr erstes Unternehmen. Aus einer kleinen Skizze auf Papier wurde ein preisgekröntes Bilderbuch-Startup. Sie gewann Förderpreise, überzeugte Investor:innen bei Die Höhle der Löwen, und aus einem einfachen Prototypen wurden über 250.000 verkaufte Produkte.

Doch zu jeder guten Geschichte gehört auch ein Wendepunkt. Carina kennt beide Seiten der Gründung – vom gefeierten Startup bis zur Insolvenz. Darüber spricht sie heute offen. Denn über 70 % der Startups scheitern – nur kaum jemand spricht darüber. Was sie damals am meisten vermisst hat? Einen offenen Austausch, ein Gegenüber mit Verständnis und Erfahrung. Heute arbeitet Carina als Coachin für Gründer:innen – besonders dann, wenn es schwierig wird. In ihren Texten schafft sie Raum für Themen wie finanzielle Ängste, Scheitern, emotionale Achterbahnen – und das, was danach kommt. Sie schreibt, was sich viele nicht trauen auszusprechen – und gibt damit nicht nur dem Thema Insolvenz, sondern auch der Verletzlichkeit eine Bühne.

Episode
Date
June 16, 2025
Autor:in
Carina Frings
Duration
5 Min

Episode

21

Positiv scheitern: Zuversicht ausstrahlen

Ich werde hier nicht zehn Gründe aufzählen, warum es bei mir zur Insolvenz kam. Denn mal ehrlich: Wie oft wurde ich gefragt – „Wie konnte das denn passieren?“ Eine Frage, die mehr über gesellschaftliche Erwartungen verrät als über mich. Als gäbe es immer ein klares „Warum“. Und vor allem: eine:n Schuldige:n. Typisch deutsch, denke ich oft. Wir suchen lieber nach Fehlern als nach Mitgefühl. Empathie? Fehlanzeige.

Ich glaube nicht, dass unser Umgang mit Scheitern Zufall ist. Er hat Wurzeln – tiefe, kulturelle, historische, psychologische. Unsere kollektive deutsche Geschichte ist geprägt von Schuld, Strafe und Wiederaufbau. Diese Muster wirken weiter. Still. Generationenübergreifend. Und genau deshalb lohnt es sich, hinzusehen. Denn rund 70 % aller Start-ups scheitern in den ersten drei Jahren (vgl. KölnBusiness, 2023).

Viele machen „einfach“ weiter – kehren zurück ins Angestelltenverhältnis, für das sie sich vielleicht einst bewusst nicht entschieden hatten. Und sie schweigen über das, was passiert ist. Vermutlich, weil es nicht gern gesehen ist, darüber zu sprechen. Aber ist es nicht längst an der Zeit, genau diesen Menschen zuzuhören? Ihnen Halt zu geben statt Scham?

Deutschland braucht Gründer:innen. Warum also immer nur neu akquirieren – statt auf diejenigen zu setzen, die bereits losgegangen sind? Statt sie zu stärken, wenn es schwierig wird, begegnet man ihnen oft mit Skepsis. Dabei sind es genau diese Menschen, die wertvolle Erfahrungen mitbringen, echte Erkenntnisse – und Mut. Genau das mache ich heute zu meiner Mission.

Gerade in dieser Zeit hätte ich einen Raum gebraucht. Einen Raum, in dem jemand erkennt, was man wirklich braucht. Jemand, der nicht analysiert, sondern zuhört. Der sieht, ohne zu bewerten. Ein echtes Lächeln. Freundlichkeit. Präsenz. Ein Mensch, der Zuversicht ausstrahlt. Diesen Raum gab es nicht. Also musste ich ihn mir selbst bauen. Ich stieß damals auf Angebote wie die „Anonymen Insolvenzler“. Schon der Name zeigt, wie tabuisiert das Thema ist. Die meisten Ratgeber? Juristisch. Technisch. Aber Scheitern ist mehr als ein Ablaufplan – Scheitern ist ein Gefühl. Und ich fühlte mich damals einfach nur verloren. Fucking lost. Einsam. So wie man sich auch während der Gründung oft nicht mit Freund:innen oder der Familie austauschen kann, weil sie nicht wirklich verstehen, was alles dranhängt – so fühlt es sich auch am Anfang einer Insolvenz an.

Für mich ist es auch heute noch nicht leicht, darüber zu schreiben. Ich habe lange gebraucht, um Worte zu finden, die sich richtig anfühlen. Aber ich schreibe es auf, weil ich damals genau so eine Hilfe gebraucht hätte. In den letzten Wochen habe ich oft gedacht: Vielleicht wäre es einfacher, das Thema einfach loszulassen. Neu anfangen. Aber da ist wieder diese Stimme. Diese leise, klare Energie – wie damals bei meiner Gründung. Und ich höre wieder auf sie.

Insolvenz hat für mich zwei Ebenen: eine sachliche und eine emotionale. Ich widme mich der zweiten. Denn was fehlt, ist nicht noch ein sachlicher Leitfaden über Insolvenz – sondern ein ehrlicher Einblick in das, was wirklich passiert, wenn alles zusammenbricht. Wie es sich anfühlt, ein Start-up aufzubauen, alles zu verlieren – und trotzdem wieder aufzustehen.

Ich erinnere mich gut an den Tag der Insolvenzanmeldung. Ich saß in meinem alten WG-Zimmer. Kein Tageslicht. Keine Gespräche. Nur Stille. Schmerz. Ich wollte niemanden sehen, mit niemandem sprechen. Ich war wie betäubt. Mein Körper: gelähmt. Heute weiß ich: Das war eine psychische Reaktion. Die Tage danach waren zäh. Ein Erfolg war es schon, einkaufen zu gehen. Oder zu duschen. Ich hätte nie gedacht, wie lähmend finanzielle Angst sein kann. Bis heute gibt es Triggerpunkte, die das wieder hochholen.

Was mir wichtig ist: Eine Insolvenz kommt selten plötzlich. Sie ist leise. Schleichend. Man kämpft. Man kaschiert. Man hält den Schein. Ich überzog private Kreditkarten. Nicht professionell, nicht durchdacht – aber zutiefst menschlich. Mein Körper hatte längst Warnzeichen gesendet: Schlaflosigkeit. Kopfschmerzen. Konzentrationsstörungen. Ich war drei Jahre im Dauerlauf – ohne Pause. Tunnelblick. Dauerfunktionieren.

Ich war mit meiner Gründerinnenrolle verschmolzen. Viele von euch kennen das: Der erste Schreibtisch. Die erste Mitarbeiterin. Das erste Mal in der Presse. Events. Applaus. Netzwerke. Man ist stolz – und man ist ständig auf Sendung. Und irgendwann fragt dich jemand, wie es war, bei Die Höhle der Löwen aufzutreten. Ob du aufgeregt warst. Und du sagst: Nein. Nicht, weil du souverän warst – sondern weil du innerlich leer warst. Ich funktionierte nur noch. Gefühle? Ausgeschaltet. Der Druck hatte alles überlagert.

Heute ist das anders. Heute spüre ich mich wieder – manchmal sogar mehr, als mir lieb ist. Die Freude ist intensiver. Aber der Schmerz eben auch. Ich bin wieder lebendig. Ich bin aufgeregt, wenn ich auf einer Bühne stehe. Ich habe Lampenfieber vor Interviews. Und genau das fühlt sich gut an. Echt. Fast wie Schmetterlinge im Bauch.

Als ich wieder etwas stabiler war, wollte ich reden. Mich austauschen. Auch im engsten Kreis. Aber oft wurde das Thema abgewunken. Als dürfe man nicht darüber sprechen. Manche fühlten sich unwohl, wenn ich ehrlich wurde. Und das verunsicherte mich noch mehr. Gerade wenn man mit finanziellen Ängsten kämpft, fehlt einem oft das Selbstvertrauen. Ich stieß mit meiner Offenheit auf einen dicken, kalten Stein. Ich hatte das nicht erwartet. Und ich bekam selten Zustimmung oder echtes Zuhören.

Irgendwann suchte ich mir einen Coach (den ich mir eigentlich nicht leisten konnte). Das half – kurzfristig. Aber ganz ehrlich: Das kann nicht der einzige Weg sein. 

Was wir brauchen, ist ein gesellschaftliches Umdenken. Ein Raum für andere Gespräche. Mehr Mensch. Weniger Maske. Warum machen wir das Thema so unangenehm?

Was ich dir mitgeben will: Du bist nicht allein. Es spricht nur kaum jemand darüber. Noch nicht. 

Ich hoffe, ich kann mit dieser Kolumne ein Licht sein. Ein Zeichen von Zuversicht.